… sind wir Christen wirklich an der Zerstörung der Erde schuld? Erste Szene: Ein altes Holzhaus Ein paar Freunde lebten vor etlichen Jahren in einem alten Holzhaus. Irgendwann teilte ihr Freund, der Vermieter, ihnen mit, dass er sein Haus demnächst gerne abreißen lassen würde, um neu zu bauen. Er scherzte sogar, dass es eine große Hilfe wäre, wenn die Wohnung aus Versehen „abfackeln“ würde, weil dann ja die Versicherung helfen würde, sein neues, schönes Heim zu finanzieren. Jetzt kann wahrscheinlich jeder raten, mit welcher Sorgfalt meine Freunde das alte Haus nach dieser Mitteilung bewohnt haben. Es gab sowieso wenig zu retten, das Material war verbraucht und wartete nur darauf weggehauen und verbrannt zu werden. Mein Freund John erzählte mir, wie viel Spaß sie besonders beim Hockeyspielen im Wohnzimmer hatten – in den letzten paar Wochen in dem alten Kasten. Anscheinend gab es keinen zwingenden Grund, vergängliche, wertlose Dinge mit besonderer Liebe und Sorgfalt zu behandeln!
Zweite Szene: Eine Zahnarztpraxis an der Westküste Kanadas Ich habe zu Hause in Kanada in einigermaßen regelmäßigen Abständen einen ziemlich exzentrischen Zahnarzt besucht. Der gute Herr Doktor war hoch gebildet, sozialpolitisch interessiert, war der einzige Mann in der Aerobicstanzgruppe meiner Frau; ihrer Aussage nach auch ein äußerst exzentrischer Tänzer. Sein Wartezimmer hatte ein cooles Ambiente, Kerzen zu jeder Jahreszeit, es roch nach Weihrauchstäbchen, es spielte immer richtig gute Musik, meistens Bruce Cockburn oder irgendeine Bluesband. Zu lesen gab es bei ihm, anstelle von seichten Tratschzeitschriften nur politische, etwas linke, New Age- oder sozialpolitische Magazine; für nordamerikanische Verhältnisse eine sehr ungewöhnliche Mischung. Wenn du in seinem Folterstuhl lagst, erklärte Doktor B. dir ständig jedes Detail seiner Arbeit, und du gingst nicht nur mit besseren Zähnen, sondern auch irgendwie gebildeter und relaxter nach Hause. Das relaxte Gefühl kann allerdings auch mit den Drogen („Zum Abschluss noch ein paar homöopathische Beruhigungstropfen“) zu tun haben, mit denen er mich nach jedem Besuch verabschiedete. Und Doc B. wusste, dass ich Pastor war; also schlug er eines Morgens, nachdem er mir die untere Zahnpartie komplett betäubt hatte und ich mich nicht wehren konnte, zu. „Ich geh noch mal kurz raus, bis die Betäubung wirkt. Ich habe hier einen Zeitschriftenartikel, der dich interessieren könnte!“
Warum bibeltreue Christen daran schuld sind, dass unsere Erde immer mehr zerstört wird Der Artikel benutzte eine ähnliche Argumentation wie meine holzhausmietenden Freunde. Bibeltreue Christen glauben, dass dieser Planet irgendwann von Gott durch eine neue Erde und einen neuen Himmel ausgetauscht wird. Sogar die passende Bibelstelle wurde angegeben. Offb 21,1: Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der vorige Himmel und die vorige Erde waren vergangen, und auch das Meer war nicht mehr da. Dem Artikelschreiber zufolge glauben die meisten Christen, dass es hauptsächlich darauf ankommt, Leute davon zu überzeugen, richtig zu glauben. Irgendwann kommt der Herr Jesus dann wieder und nimmt die „richtig Glaubenden“ zu sich in den Himmel, die „Ungläubigen“ kommen in die Hölle, und die Erde, wie wir sie kennen, kann ruhig verbrennen, da die dann sowieso nicht mehr gebraucht wird. Noch extremer wird es, schreibt der gute Mann, weil viele Christen diesen Tag des Gerichts natürlich herbeisehnen und deshalb versuchen, den Prozess zu beschleunigen, gleich nach dem Motto: „Wenn wir kräftig die Erde zerstören und uns genug bekriegen, dann kommt der Herr garantiert schneller zurück!“ Danach folgte dann Beispiel über Beispiel von „Beweisen“, wie gerade US-Politiker mit christlich-fundamentalistischen Überzeugungen erfolgreich gegen Umweltschutz, gegen Arme und Unterdrückte, pro Krieg, Waffen und Kapitalismus stimmten. Sein starker Verdacht war eben diese theologische Überzeugung: „Ist ja egal, was aus der Erde wird, der Ball fackelt ja sowieso bald ab!“ Jesu Botschaft sei, so der Journalist, eben leider nur eine gute Nachricht für Gläubige. Wenn du nicht glauben kannst oder willst, bleibt dir eben nur das Leben auf einer verseuchten, verarmten Erde.
Leider hatte ich ein paar Minuten später, betäubt und mit etlichen Schläuchen und Geräten im Mund, wenig Gelegenheit den Artikel mit Dr. B. zu diskutieren. Aber ich habe mir so meine Gedanken gemacht und auf die folgenden Fragen hätte ich gerne ein paar Antworten. Ist das Evangelium nur eine Gute Nachricht für die Gläubigen? … oder wollte Jesus, dass die ganze Welt (z.B. die Armen, die Unterdrückten, die Umwelt) davon profitiert? Leben wir tatsächlich auf einer vergänglichen Erde, die irgendwann abbrennt? Zählt letztendlich wirklich nur, dass wir das Richtige glauben, oder sind wir dazu aufgefordert, die Welt aktiv zu verändern? Warum sind wir westlichen Christen des 20. und 21. Jahrhunderts nicht unbedingt berühmt für unseren Aktivismus für die Umwelt, gegen Unterdrückung, zum Wohl der Erde? Hat der gute Artikelschreiber Recht und unsere Theologie ist schuld an vielen existentiellen Problemen dieser Welt?